Berlin/Brüssel/Südwestfalen. “EU-Verbot droht” – “Sportvereine verunsichert”. Das ist in diesen Tagen bundesweit – auch im MK – der Tenor zahlreicher Medienberichte zum Thema Mikroplastik auf Kunstrasenplätzen. Die Berliner Pressestelle der EU-Kommission hat am Dienstag (23. Juli 2019) in einer Pressemitteilung reagiert. Botschaft: “Die Europäische Kommission plant kein Verbot von Kunstrasenplätzen und arbeitet auch nicht an einem solchen Vorschlag.” Der TACH! meint: Das aktuell viel diskutierte Thema ist gut geeignet grundsätzliche Einblicke in die geregelte Arbeit der EU zu bieten – die Entscheidungsfindung bei europäischen Umweltschutz-Zielen. Eine Online-Recherche.
Ziel der Kommission ist es, so die Mitteilung aus Berlin, Antworten auf die Frage zu finden, wie umweltschädliches Mikroplastik künftig verringert werden kann? Dazu ist aktuell die EU Agentur ECHA – von Industrie-Insidern auch europäischer Chemie-TÜV genannt – im Einsatz. In der EU-Mitteilung heißt es: “In diesem Zusammenhang führt die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) derzeit unter anderem eine öffentliche Konsultation dazu durch, welche Auswirkungen eine mögliche Beschränkung des Einsatzes von Mikroplastik-Granulat hätte, das unter anderem als Füllmaterial für Kunstrasen genutzt wird.”
EU-Agentur hat Beschränkungsverfahren für Mikroplastik eingeleitet
Fußballverbände beschreiben ausführlich Wichtigkeit der Kunstrasenplätze
Zu den Beschränkungsvorschlägen der ECHA schreibt der FLVW zusammen mit dem DFB und zahlreichen weiteren Fußballverbänden: “Im Hinblick auf den Beschränkungsvorschlag der ECHA…spricht sich der DFB… für eine angemessene Übergangsfrist von mindestens sechs Jahren bis zu einem vollständigen Inverkehrbringungsverbot des Kunststoffgranulats zur Verwendung in neuen Kunststoffrasensystemen sowie für die Umstellung bestehender Flächen aus.”
Europa-Abgeordneter Dr. Liese hat EU-Kommission einen Brief geschrieben
Dr. Peter Liese, südwestfälischer CDU-Europaabgeordneter und umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion hat sich am Montag (22. Juli 2019) zum Thema Mikroplastik auf Kunstrasenplätzen geäußert. „Bisher handelt es sich lediglich um einen Vorschlag der Europäischen Chemikalienagentur ECHA. Dieser Vorschlag wird zurzeit in der Europäischen Kommission geprüft und es gibt zu der Frage auch in der Kommission unterschiedliche Auffassungen”, so seine Mitteilung. Er habe sich in dieser Sache bereits in einem Brief an die zuständigen EU-Kommissare gewandt.
Wie die Fußballverbände weist der Abgeordnete auf die Wichtigkeit der Kunstrasenplätze für Sportvereine hin, stellt dabei die gesellschaftliche Bedeutung der umfangreichen ehrenamtlichen Arbeit heraus.
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Zur künftigen EU Zielsetzung beim Thema Mikroplastik heißt es in der Liese-Mitteilung: „Es ist sicher ein richtiges Ziel, den Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt zu reduzieren. Deswegen muss man langfristig das Granulat auf Sportplätzen durch weniger problematische Substanzen ersetzen. Auf der anderen Seite darf man die Sportvereine, die in den letzten Jahren oft mit viel ehrenamtlichen Engagement Kunstrasenplätze gebaut haben, jetzt nicht überfordern. Wir brauchen eine angemessene Übergangszeit.”
Bisherige Mikroplastik-Zahlen ein “Worst-Case-Szenario”
Ein Bericht des Berliner Tagesspiegel vom 22. Juli 2019 beschäftigt sich unter anderem mit den bisherigen wissenschaftlichen Grundlagen des ECHA-Vorschlagsverfahrens. Die EU-Chemiekalienagentur “stützt sich bisher nur auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts ‘Umsicht’ in Oberhausen”, so die Tagesspiegel-Online-Ausgabe. Das Institut gehe bei seinen Angaben von einem “Worst-Case-Szenario” aus, heißt es unter Berufung auf einen Projektingenieur.
Der Kunstrasen-Hersteller Polytan widerspricht in einer Pressemitteilung vom 11. Juli 2019 den Zahlen der Studie deutlich und zitiert eine Sprecherin des Fraunhofer Institutes. Demnach handele es sich bei den dortigen Zahlenangaben um Schätzungen. Durch “Erfahrungen aus der Praxis” könne man andere Zahlen belegen, schreibt das Unternehmen. Wörtlich heißt es: “Polytan geht von etwa einem Zehntel der publizierten Menge aus.”
Bis 20. September 2019 sind Stellungnahmen möglich
ECHA und EU-Kommission haben bis zu einer Entscheidungsfindung noch reichlich zu tun. Bis zum 20. September 2019 besteht noch die Möglichkeit, sich am öffentlichen Konsultationsverfahren der ECHA zu beteiligen. Im Frühjahr 2020, so die Mitteilung der deutschen Pressestelle der EU-Kommission, wird “die Chemikalienagentur ECHA der Europäischen Kommission ihre Ergebnisse vorlegen”. Parallel laufe auch eine “umfassende Folgenabschätzung der Europäischen Kommission”. Weiter heißt es: “Die Kommission wird im kommenden Jahr prüfen, ob die Bedingungen für eine Beschränkung für Mikroplastik im Rahmen der REACH-Verordnung erfüllt sind.
REACH, so die Online-Erläuterung der ECHA – “ist eine Verordnung der Europäischen Union, die erlassen wurde, um den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können, zu verbessern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie in der EU zu erhöhen.”
Ob es am Ende des Mikroplastik-Verfahrens ein Verbot oder eine andere Regelung gibt, ist zurzeit offen. Zu einer möglichen künftigen Beschränkung teilt die EU-Kommission mit: Es könne “ein Verbot sein oder auch andere Vorgaben, um die umweltschädlichen Auswirkungen von Mikroplastik zu minimieren. Sie kann auch Übergangsbestimmungen beinhalten, um sicherzustellen, dass betroffene Akteure genug Zeit haben, sich an neue Vorgaben anzupassen.”
Ziel der EU-Kommission: “wirksame und verhältnismäßige Vorschläge”
Die Mitteilung der EU-Kommission greift auch bislang geäußerte Bedenken auf. Wörtlich heißt es: “Natürlich ist sich die Europäische Kommission der wichtigen Rolle bewusst, die Sportplätze bei der Förderung von körperlicher Bewegung, Gesundheit und sozialer Integration in der gesamten EU spielen. Bei der Ausarbeitung ihres Vorschlags wird die Kommission sicherstellen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen sowohl wirksam sind, um die Freisetzung von Mikroplastik zu verringern, als auch verhältnismäßig mit Blick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen.”
EU Parlament kann Vorschlag stoppen
Wenn von der EU-Kommission ein Vorschlag kommt, so der Hinweis des Europa-Abgeordneten Dr. Peter Liese, “kann dieser vom Europäischen Parlament auch noch gestoppt werden.” Deshalb hoffe er “auf ein kompromissorientiertes Vorgehen aller Beteiligten.”
Links zum Thema
Presse-Mitteilung der deutschen Vertretung der EU-Kommission
Erläuterungen der EU Chemikalienagentur ECHA zu Mikroplastik
ECHA Online-Seite zum Öffentlichen Konsultationsverfahren beim Mikroplastik-Thema
Pressemitteilung des südwestfälischen EVP-Abgeordneten Dr. Peter Liese
Lokale Berichterstattung vom 15. Juli 2019 auf come-on.de (Werdohl)
Berichterstattung vom 23. Juli 2019 auf wp.de
Berichterstattung des Berliner Tagesspiegel vom 22. Juli 2019