Die Wanderausstellung "Weimar im Westen" wird am Sonntag, 17. Februar 2019, um 11.30 Uhr im Lüdenscheider Geschichtsmuseum eröffnet. Foto: LWL
Zwei Fahrzeuge aus dem Hause Basse und Selve begrüßen im Foyer die Gäste der Ausstellung „Weimar im Westen“ im Lüdenscheider Geschichtsmuseum. Foto: Wolfgang Teipel

Lüdenscheid/Südwestfalen. „Weimar im Westen – Republik der Gegensätze“ heißt die Wanderausstellung, die vom 17. Februar bis 27. März 2019 in den Museen der Stadt Lüdenscheid zu sehen ist. Sie will ganz neue Einblicke geben in die Zeit der ersten deutschen Demokratie. Nicht die Berliner Perspektive mit einem Philipp Heinrich Scheidemann am Reichstagsfenster und einem Paul von Hindenburg mit Marschallstab steht im Fokus. Gezeigt wird die Weimarer Zeit im Westen. Wie war das von 1918 bis 1933 im Rheinland? Wie war das in Westfalen? Und wie in Lüdenscheid?

Per Touchscreen die Republik der Gegensätze erleben

Blick in einen der vier Multimedia-Würfel. In jedem Kubus gibt es einen zehnminütigen Film und mehrere Themen-Touch-Screens. Foto: Wolfgang Teipel

„Wir wollten eine andere Ausstellung machen als gewöhnlich“, sagt Dr. Julia Paulus im Gespräch mit TACH!. Die Kuratorin der Ausstellung hat mit ihren Kolleginnen und Kollegen vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), Landschaftsverband Rheinland (LVR) und weiteren Beteiligten rund ein Jahr an den Vorbereitungen gearbeitet. Entstanden ist eine Wanderausstellung, die aus vier begehbaren Multimedia-Würfeln besteht. Drei-mal-drei Meter groß, 2,50 Meter hoch, berichtet Paulus. Ganz bewusst im Bauhaus-Look. Die Ausstellung ist Teil des Projektes 100 Jahre Bauhaus im Westen.

Durch eine Tür kommt man ins Kubus-Innenleben. Das ist für die Touch-Screen-Generation kompatibel gestaltet. Links und rechts gibt es Mediastationen. Da kann man sich „durch die Themen wischen“. Und sollten die Touch-Screen-Plätze gerade besetzt sein, reicht der aufmerksame Blick nach vorn. „In jedem Würfel gibt es einen zehnminütigen Film zum jeweiligen Kubus-Thema„, so die Kuratorin.

Ein Ziel der Aussstellung ist es, die Gegensätze der Republik aufzeigen: „Gewalt und Sicherheit“,  „Avantgarde und Tradition“ sind zwei der vier Themenblöcke. Um dafür Film-, Ton- und Bildmaterial zusammen zu bekommen, war es mit ein paar Gängen ins Archiv nicht getan. „Wir mussten selber losgehen“, berichtet Paulus. In Privathäusern, in Firmen und regionalen Archiven wurde nach Material gesucht und es wurde reichlich gefunden – „zehnmal mehr als ursprünglich angedacht“.

Zehn Stunden Material im Netz

Helene Drießen (Bildmitte) vertrat 1921 als einzige Frau im Provinzvorstand der Deutschen Zentrumspartei von Westfalen erstmals die Gruppe der Politikerinnen auf dem Reichsparteitag ihrer Partei.
Foto: Stadtarchiv Bocholt/John Graudenz

Das soll nicht nur in der Wanderausstellung zu sehen sein. Zehn Stunden Material haben die AusstellungsmacherInnen ins Netz gestellt. Die Online-Ausstellung liefert Texte, Bilder und Erläuterungen per Video.

„Das war etwas schwierig“, verrät Paulus. Angestrebt wurde eine Lösung, die auch auf dem Smartphone funktioniert. Online-Angebot und Ausstellung richten sich an alle, die etwas erfahren wollen über die 1. Demokratie in Deutschland.

Online gibt es auch manches zur Vorbereitung eines Museumsbesuches. Das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte hat eine vierteilige Artikelserie verfasst, in der Julia Paulus und ihre Kollegin Regina Göschl Einblicke in die Ausstellungsthemen geben.

Themen wie Tarifpolitik, geregelte Arbeitszeit, Frauen-Wahlrecht, Bildung für Erwachsene reichen zurück in die Weimarer Zeit. Auch das Thema Migration stand damals auf der Tagesordnung. Am Beispiel des Fußballspielers Ernst Kuzorra und Schalke 04 zeigt das Ausstellungsteam wie im „Ruhrgebiet als Schmelztiegel der Kulturen“ Integration funktionierte. Es zeigt aber auch das Thema „Fremd-sein in Westfalen und im Rheinland“ und dass „aus wirtschaftlichen Gründen Zugewanderte rassistischen Vorurteilen ausgesetzt waren“. Vorurteile, die sich parteipolitisch Aktive zu Nutze machen konnten.

Ernst Kuzorra vom FC Schalke 04 beim Kopfball im Halbfinale um die Westdeutsche Meisterschaft: Dem Fußballspieler gelang die Integration durch den Sport.
Foto: FC Schalke 04

Erkenntnis: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit

Zum Beispiel bei der Landtagswahl Mitte Januar 1933 in Lippe. Da galt die NSDAP bei vielen Zeitgenossen „nach miesen Wahlergebnissen 1932“ bereits als Spuk abgeschrieben, berichtet Prof. Dr. Malte Thießen im LWL-Newsroom-Interview. Der Leiter des LWL-Institutes für westfälische Regionalgeschichte erläutert: „Hitler brauchte Anfang 1933…dringend ein Erfolgserlebnis. Die an sich völlig unbedeutende Landtagswahl in Lippe…bot dafür die erste Gelegenheit. Hitler rief einen ‚Durchbruchswahlkampf‘ aus und warf alle NS-Größen in die Wahlveranstaltungen in Lippe.“ Ergebnis: „Die NSDAP wuchs von 3,4 auf satte 39,5 und wurde stärkste Kraft in Lippe. Dieser propagandistisch massiv ausgeschlachtete Wahlsieg machte Eindruck in ganz Berlin – und ebnete den Weg zur ‚Machtergreifung‘.“ Der Anfang vom Ende der Weimarer Republik hat in Detmold und Umgebung stattgefunden.

Die Ausstellung hat auch das Ziel, bei den Besucherinnen und Besuchern die Erkenntnis zu fördern, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Eine Erkenntnis, die auch Lüdenscheids Museumschef Dr. Eckhard Trox umtreibt. „Warum ist die 1. deutsche Demokratie – dieser fantastische Versuch einer Republik – gescheitert? Darauf muss man schauen“, sagt Trox im Gespräch mit Tach! und weist auf die Wichtigkeit politischer Bildung hin. Einen ganzen Raum haben die Lüdenscheider MuseumsmacherInnen dem Thema Politik, den lokalen Kontroversen gewidmet.

Weltweit Bekanntes aus der märkischen Region

Kurt Weill, u.a. Komponist der Dreigroschenoper, wurde 1920 Kapellmeister am Lüdenscheider Stadttheater. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-2005-0119 / CC-BY-SA 3.0

Um Interessierte aus Lüdenscheid und Südwestfalen besonders zum Ausstellungsbesuch zu motivieren, hat Trox mit seinem Team die Weimar-im-Westen-Ausstellung um etliche weitere lokale Aspekte ergänzt.
Weltweit bekannt ist Kurt Weill, der 1920 Kapellmeister am Stadttheater Lüdenscheid wurde. Er ist unter anderem der Komponist der Dreigroschenoper. Vor allem seine Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht sorgte für große Aufmerksamkeit. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten floh Weill ins Ausland und entging so dem Holocaust, dem millionenfachen Mord an Menschen jüdischer Abstammung. Ab Sonntag wird er Teil der Ausstellung Weimar im Westen sein.

Bauhaus und Politik in Lüdenscheid

Dem Aspekt „100 Jahre Bauhaus im Westen“ hat das Lüdenscheider Team auch Rechnung getragen. Die Besucherinnen und Besucher werden den einstigen Lüdenscheider Stadtbaurat Wilhelm Finkbeiner kennen lernen und mit ihm den Bauhaus-Einfluss in der Bergstadt-Architektur.

Straßenbeleuchtungssteuerung vor Lüdenscheider Stadtansicht aus den 1920er Jahren. Foto: Wolfgang Teipel

Weitere lokale Aktivitäten zur Weimarer Zeit hat das Museum in Planung, wie Trox im Tach!-Gespräch berichtet. „Bislang war das Thema bei uns im Hause etwas unterbelichtet“. Die jetzige Ausstellung sei „ein kräftiger Impuls an dem Thema weiter zu arbeiten“, so der amtierende Vorsitzende der Vereinigung westfälischer Museen.

Bei einigen seiner Kolleginnen und Kollegen wird die Weimar-im-Westen-Wander-Ausstellung im Laufe des Jahres ebenfalls zu sehen sein. Bei der Auswahl der insgesamt acht Standorte waren der NRW-Landtag (23.1.-13.2.2019) und die Mutterhäuser von LWL in Münster (5. – 21.11.2019) und LVR in Köln (1.4.- 16.5.2019) gesetzt. Darüber hinaus wurden Häuser gesucht, die die technischen und logistischen Voraussetzungen für die multimediale Ausstellung erfüllen. Allein für den Aufbau der multimedialen Kuben „brauchen wir eine geeignete Fläche von 100 bis 150 Quadratmeter“, berichtet Dr. Julia Paulus im Tach!-Gespräch. Und die Auswahl der Häuser soll natürlich auch die Regionen NRWs abdecken.

Lüdenscheid passt als zweiter Ort der Wanderausstellung sehr gut ins Konzept, mit seinen Räumlichkeiten, mit seinem lokalen Begleitkonzept und als Ausstellungsstandort für die Region Südwestfalen.

Für Schulen zum Download: Aus der Weimarer Zeit lernen

Die AusstellungsmacherInnen von LWL und LVR hoffen, dass ihre Arbeit in den NRW-Regionen Impulse für weitere Weimar-im-Westen-Aktivitäten gibt.
Damit die Zeit der Weimarer Republik im Schulunterricht zum multimedialen Thema werden kann, haben sie Unterrichtsmaterial erarbeitet und zum Download bereit gestellt. Das kann sich natürlich jeder angucken, der sich mit der ersten deutschen Demokratie auseinandersetzen will.

Suchtipp für den Ausstellungsbesuch

Wer am Sonntag um 11.30 Uhr zur Ausstellungseröffnung ins Lüdenscheider Geschichtsmuseum geht, sollte etwas Zeit mitbringen. Grußworte sind zu halten: von der stellvertretenden Bürgermeisterin Verena Szermerski-Kasperek und der LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger. Erläuterndes von Museumsleiter Dr. Eckhard Trox könnte für den anschließenden Rundgang hilfreich sein. Der Museumschef prognostizierte im Tach!-Gespräch: Länger als 20 Minuten solle sein Vortrag nicht werden.

Blick in eine Lüdenscheider Sozialwohnung aus dem Jahr 1929. Foto: Wolfgang Teipel

Falls doch, es werden Getränke gereicht. Dazu noch vom Tach! einen Sauerland-Fundstück-Such-Tipp. Wir haben ihn dem LWL-Interview mit Ausstellungs-Mitinitiator Prof. Dr Malte Thießen entnommen. Er berichtet: „In der Ausstellung zeigen wir eine lange Après Ski-Szene aus dem winterlichen Winterberg: Mondän gekleidete Damen trinken, rauchen und lachen mit jungen Herren um die Wette… Die typischen Symbole des damaligen Aufbruchs aus traditionellen Geschlechterrollen – der Bubikopf, maskuline Mode – finden sich also keineswegs nur im ‚Babylon Berlin‘. Auch in der Provinz machte man gesellschaftliche Experimente, brach man auf zu neuen Horizonten.“

‚Weimar im Westen‘ war offensichtlich auch ‚Weimar in Winterberg‘, also… Weimar im Sauerland.

 

Links zum Thema

Online-Seite „Weimar im Westen“

Online-Ausstellung Weimar im Westen – Themen: Gewalt und SicherheitGesellschaft und Gemeinschaft  – Avantgarde und Tradition  – Stadt und Land

Artikelserie zur Ausstellung mit Fragen an die Kuratorinnen Regina Göschl und Julia Paulus

Geschichtsmuseum Lüdenscheid: Öffnungszeiten und Anfahrt

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