Von Martina Wittkopp-Beine
Plettenberg. Seit 1996 ist der 27. Januar in der Bundesrepublik Deutschland der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“. Das Datum erinnert an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee im Jahr 1945.
Zu den Überlebenden des Holocaust gehörte auch die aus Plettenberg stammende Irma Sternberg. Sie wurde allerdings nicht im Januar 1945 befreit, sondern erst gegen Ende des Krieges. Ursache war, dass sie in einem Außenlager des KZ Groß Rosen in Sakisch nahe der tschechischen Grenze gefangen gehalten wurde.
Tochter von Adolf und Meta Sternberg
Irma Sternberg, ihr eigentlicher Vorname war Irmgard, wurde am 20. Juni 1918 in Plettenberg geboren. Fünf Jahre zuvor war schon ihr Bruder Herbert zur Welt gekommen. Irmas Eltern waren der Fabrikant Adolf Sternberg und seine Frau Meta geb. Heinemann. Irma wuchs in Plettenberg auf. Von 1924 bis 1934 besuchte sie in Plettenberg die Schule. Zunächst die Grundschule, dann die weiterführende Schule. Nach Beendigung ihrer Schulzeit verließ sie die Stadt, kehrt aber immer wieder nach Plettenberg zurück. Zunächst zieht es sie für kurze Zeit in das holländische Städtchen Winterswijk. Dann kehrt sie nach Plettenberg zurück, um die Stadt im Dezember 1935 für vier Monate in Richtung Hamburg zu verlassen. Nach dem Hamburgtrip geht es ein paar Monate später noch nach Gelsenkirchen, wo Verwandte der Familie Sternberg lebten.
Berufsschule für Modezeichner
1937 geht sie schließlich nach Düsseldorf. Sie besuchte eine Berufsschule für Modezeichner, blieb dort bis November 1938 und kehrte dann noch einmal nach Plettenberg zurück. Allerdings saßen die Sternbergs schon „auf gepackten Koffern“. Irma Sternberg und ihre Eltern Adolph und Meta Sternberg zogen im März 1939 nach Wuppertal-Barmen, ihr Bruder Herbert hatte schon Anfang 1939 Deutschland in Richtung England verlassen. In Wuppertal ist sie zunächst arbeitslos, arbeitet dann für ein paar Monate als Arbeiterin in einer Fabrik in Wuppertal-Oberbarmen, wird wieder arbeitslos und geht irgendwann dann nach Köln. In Köln lernt sie ihren Ehemann Adolf Salomon, einen Regierungsrat a.D., kennen. Das Paar heiratet am 8. Dezember 1941 in Rodenkirchen. Im gleichen Monat beginnt sie ihre Arbeit als Schreibkraft bei der Bezirksstelle Rheinland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Vermutlich hatte ihr Mann die Tätigkeit vermittelt. Er war nämlich seit 1937 beim Hilfsverein der Juden tätig. Das Ehepaar bezog gemeinsam mit dem Schwiegervater Salomon Salomon ein kleines Haus in Rodenkirchen.
1942 Transport ins Lager
Dort lebten sie gut anderthalb Jahre. Am 27. Juli 1942 jedoch wurden sie abgeholt. Während der Schwiegervater direkt in das Messelager in Köln-Deutz gebracht wurde und von dort nach Theresienstadt deportiert wurde, kamen Irma und ihr Mann noch für zwei Monate in ein Ghettohaus in der Utrechter Straße 6 in der Kölner Innenstadt. Danach wurden auch sie abgeholt und am 26.9.1942 zunächst in das Ghetto nach Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später, am 1. Oktober 1944 folgte die zweite Deportation des Ehepaares. Ziel war das Vernichtungslager Auschwitz. Adolf Salomon wurde wahrscheinlich direkt nach der Ankunft ermordet. Er wurde 43 Jahre alt. Irma Salomon entging der Ermordung. Sie wurde Ende November 1944 vom Konzentrationslager Auschwitz weiter nach Sackisch, das zwei Kilometer von der Grenze zu Tschechien entfernt liegt, gebracht. Dort hatten die Nationalsozialisten im August 1944 als Außenlager des KZ Groß Rosen ein Arbeitslager für Frauen errichtet. Bei Kriegsende 1945 befanden sich im Lager Sackisch noch etwa 3000 Gefangene. Zu ihnen gehörte Irma Salomon. Nach der Befreiung im Mai 1945 kehrte Irma Salomon nach Köln zurück. Wie und wann sie dort ankam, wissen wir nicht.
Heirat im April 1947
In Köln lernt sie den bekannten Arzt Dr. Herbert Lewin kennen, der u.a. von 1937 bis 1941 Leiter der gynäkologischen Abteilung des jüdischen Krankenhauses in Köln-Ehrenfeld war. Auch er hatte mehrere Jahre in Konzentrationslagern verbringen müssen, in denen er als Häftlingsarzt eingesetzt wurde. Von 1963 bis 1969 war er Vorsitzender der Juden in Deutschland. Lewins erste Frau starb in einem Lager. Im April 1947 heiratete das Paar, im Februar 1948 wird Tochter Margerit Beate geboren. Fortan kümmert sich Irma Lewin um Haushalt und Tochter. Herbert Lewin gelang es nun doch noch, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen. 1948 habilitierte er sich an der Universitätsfrauenklinik Köln. Danach zog das Ehepaar Lewin nach Offenbach, wo Herbert Lewin zunächst Chefarzt, dann Direktor an der dortigen Frauenklinik wurde.
Skandal um die Berufung
Seine Berufung nach Offenbach verlief allerdings keineswegs so glatt, wie man es vielleicht vermuten könnte. Im Gegenteil. Seine Berufung war überschattet vom ersten großen antisemitischen Skandal in der Bundesrepublik. So wurde direkt nach der Wahl durch den Magistrat von Offenbach die Berufung von Lewin abgelehnt. Der Offenbacher Bürgermeister habe Lewin unter Berufung auf seine jüdische „Abstammung“ und politisches Schicksal für untragbar erklärt. Der Oberbürgermeister habe sogar gemeint, Lewin würde mit dem Rachegefühl eines KZlers seine Stelle antreten, keine deutsche Frau könne sich ihm mit ruhigem Gewissen anvertrauen. Erst das Eingreifen der vorgesetzten Behörden und ein weltweiter öffentlicher Protest führte dazu, dass der Offenbacher Magistrat sein Votum korrigierte.
Dem Alkohol verfallen
Irma Lewin (Sternberg) und ihr Mann Herbert Lewin haben zwar die Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus überlebt, aber insbesondere Irma Lewin gehörte zu den vielen Überlebenden, die keine Möglichkeit fanden, mit den demütigen Erfahrungen und Erlebnissen fertig zu werden. Das hatte auch Auswirkungen auf das Privatleben. Zunächst wollte Irma Lewin (Sternberg) mit ihrer Tochter in Israel ein neues Leben aufbauen. Da sie das Klima dort jedoch nicht vertrugen, kehrten sie wieder nach Deutschland zurück. Zudem verfiel Irma Sternberg immer mehr dem Alkohol. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt schließlich verstarb sie im Alter von 60 Jahren am 4. Februar 1978 in Offenbach, zehn Tage vor dem dreißigsten Geburtstag ihrer Tochter Margerit Beate. Diese nahm sich drei Jahre später das Leben. Margerit Beate Lewin hatte den Nationalsozialismus zwar nicht selbst erlebt, wurde aber in der zweiten Generation sein Opfer. Sie konnte das Wissen um das Schicksal ihrer Eltern offensichtlich nicht ertragen.